Die Stammbahn - Preußens erste Eisenbahn

Die erste Eisenbahnstrecke in Deutschland wurde bekanntlich 1835 zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. In Preußen dauerte es etwas länger, nicht zuletzt, weil König Friedrich Wilhelm III. diesem neuen Verkehrsmittel etwas skeptisch gegenüberstand. Im Jahr 1838 war es jedoch schließlich so weit: Die erste Eisenbahnstrecke in Preußen, die so genannte Stammbahn, ging zwischen Berlin und Potsdam in Betrieb, wobei sie 1846 weiter bis nach Magdeburg verlängert wurde (die Havelquerung in Potsdam bereitete dabei einige Schwierigkeiten).

Zwischen Berlin und Potsdam hatte die Strecke damals jedoch einen etwas anderen Verlauf als heute. Sie führte nicht von Charlottenburg durch den Grunewald und über Wannsee nach Potsdam, sondern folgte der heutigen S-Bahn-Strecke der S1 von Schöneberg über Steglitz und Zehlendorf. Statt dort jedoch den Umweg über Wannsee zu nehmen, verlief sie 10 Kilometer schnurgerade durch den Wald nach Griebnitzsee.

 Ausschnitt aus OpenRailwayMap, die Stammbahn ist die braun gestrichelte Linie

Eine Wanderung

Was mit dieser Strecke geschah und was heute noch von ihr übrig ist, wollen wir uns bei einer kleinen Wanderung (die meisten Abschnitte sind auch gut als Fahrradtour machbar) ansehen. Wir starten an der Bushaltestelle “Königsweg” der Linie 118. Wir befinden uns nun im zum Bezirk Zehlendorf gehörenden Kohlhasenbrück (dessen Entstehungsgeschichte übrigens auch interessant ist). Von hier aus können wir die Bahnstrecken Richtung Magdeburg und Dessau sehen, wobei die Stammbahn aus der Magdeburger Strecke abzweigte und die heutige, damals noch nicht existierende Bernhard-Beyer-Straße kreuzte.

Laufen wir nun in Richtung des Kohlhasenbrücker Ortskerns, führt rechts vor den ersten Häusern ein Pfad in den Wald, dem wir folgen und uns dann nach links orientieren. Dort sehen wir bald etwas, das ein kleiner Hügel zu sein scheint. Doch was ist das? Oben angekommen liegt überall Gleisbettschotter. Offenbar ist das der Bahndamm der Strecke, die wir suchen! Laufen wir auf diesem ein Stück weiter, stehen wir bald auf einer sehr besonderen Brücke, die wir uns gleich noch von unten anschauen werden. Im Winter kann man auf dem Bahndamm sich noch ein Stück weiter durch das Dickicht schlagen und erreicht bald den Teltowkanal, wo der Damm abrupt endet, da die Brücke über den Kanal zum Ende des 2. Weltkrieges gesprengt wurde.

Wir verlassen den Damm am sichersten über den gleichen Weg, über den wir gekommen sind, und halten uns von dort aus immer links, bis wir unter der Brücke stehen. Nun sehen wir, dass es dort eine Inschrift gibt, die an die Stammbahn als erste preußische Eisenbahnstrecke erinnert (samt eines Steines aus der ursprünglichen Brücke von 1838). Hier haben wir also eine von Preußens ersten Eisenbahnbrücken entdeckt.

Die Brücke von unten
Inschrift zur Stammbahn
Blick von der Brücke nach unten


Alter Telegrafenmast auf dem Bahndamm
Ein Stück Schiene im Waldboden ganz in der Nähe

Im Jahre 1874 wurde dann die parallele Alte Wannseebahn über Mexikoplatz, Schlachtensee und Wannsee eröffnet, die einen Teil des Vorortverkehrs von der Stammbahn übernahm und auf der heute noch die S1 fährt. 1879 folgte die Wetzlarer Bahn durch den Grunewald bis zur 1882 fertiggestellten Stadtbahn. Die 1891 in Betrieb genommene Neue Wannseebahn für den Vorortverkehr von Zehlendorf nach Berlin (direkt neben der Stammbahn) komplettierte das Streckennetz in diesem Teil des heutigen Berlins.

Wir laufen nun auf der Machnower Straße bis zur Kreuzung, wo wir rechts auf den Königsweg (so genannt, weil die preußischen Könige ihn gern für den Weg von Berlin nach Potsdam benutzten) abbiegen. Diesem bzw. dem Berliner Mauerweg folgen wir, bis wir erneut auf einer Brücke stehen, welche aber diesmal über eine ehemalige Bahnstrecke führt. Dabei handelt es sich um die (Stahnsdorfer) Friedhofsbahn, die wir uns ein anderes Mal genauer ansehen werden.

Wir biegen hinter der Brücke rechts ab und stehen bald auf einer ziemlich breiten Lichtung. Es ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber hierbei handelt es sich um den ehemaligen Verlauf der Autobahn A115, die in den 1960er Jahren eine andere Führung erhielt, da sie direkt auf der Grenze zwischen Westberlin und der DDR verlief. Bis Anfang der 1990er waren hier noch Autobahnreste zu sehen und im weiteren Verlauf ist sogar noch eine Brücke über den Teltowkanal erhalten. Biegen wir rechts auf die Autobahn ab, so erreichen wir nach einigen hundert Metern eine Brücke, die nahezu vollständig mit Graffiti gestaltet ist (und zumindest im Sommer sind dort oft Sprayer anzutreffen).

Dies ist unser nächstes Fundstück, denn auch über diese Brücke verlief früher die Stammbahn. Direkt hinter der Brücke links können wir erneut auf den Bahndamm hochklettern und uns alles von oben genauer ansehen. Auf der Brücke liegt noch Schotter und auch einige andere Relikte erinnern daran, dass hier einst Züge fuhren.

Brücke von der ehemaligen Autobahnfahrbahn aus
Eingezäunte Brücke von oben
Überwucherte Brücke mit noch vorhandenem Schotter
Ein Relikt der Bahnstrecke

Wir verlassen nun den Bahndamm wieder und begeben uns zurück in Richtung Friedhofsbahn-Brücke und Königsweg. Auf diesem laufen wir weiter Richtung Zehlendorf und passieren dabei die heutige A115 mit der Grenzübergangsstelle Dreilinden. An der Benschallee biegen wir nach rechts ab und laufen bis zur Berlepschstraße. Links von uns befindet sich nun ein Waldstück und, wie sollte es anders sein, auch hier finden wir Überreste der Stammbahn.

Genau hier verlief nämlich die Grenze zwischen Zehlendorf (Westberlin) und Kleinmachnow (DDR), weshalb sich in der Nähe auch einige Gedenksteine für Maueropfer befinden. An die Stammbahn erinnert hier noch die Straße (nebst gleichnamiger Bushaltestelle) “An der Stammbahn”.

Laufen wir nun in den Wald hinein, entdecken wir dort die Bahnsteigkanten und Gleise (samt Prellbock) des 1939 zur besseren Erschließung eröffneten Bahnhofs “Düppel-Kleinmachnow”, nach dem Mauerbau dann nur noch “Düppel”. Vor dem zweiten Weltkrieg legten dort die Dampfzüge Richtung Potsdam Station ein, danach endete die Stammbahn aufgrund der Grenzziehung hier, denn die Gleise nach Griebnitzsee waren als Reparationsleistung abgebaut. Der Abschnitt von Zehlendorf nach Düppel wurde 1948 mit Stromschiene elektrifiziert und die S-Bahn pendelte dort mit (meist ziemlich leeren) Halbzügen im 20-Minuten-Takt.

Bahnsteigkante in Düppel
Hier muss man genauer hinschauen
Gleisreste in Düppel
Gleisreste auf freier Strecke

Für die Kleinmachnower Einwohner war dieser Bahnhof praktisch, denn er lag ziemlich nah und bot den einzigen Bahnanschluss ihrer Gemeinde. Das änderte sich nach dem Mauerbau, denn jetzt verlief zwischen Dorf und Bahnhof eine unüberwindbare Grenze. Nun diente der Bahnhof nur noch den Berliner Anwohnern, die jedoch lieber den Bus nutzten, während die Kleinmachnower riesige Umwege über den Außenring in Kauf nehmen mussten. Vor allem, nachdem in Westberlin ab 1961 der sogenannte “S-Bahn-Boykott” der von der Deutschen Reichsbahn der DDR betriebenen S-Bahn ausgerufen wurde, wanderten noch mehr Fahrgäste ab.

Die Reichsbahn versuchte, dies zu verhindern, indem sie einen neuen Haltepunkt baute, dem wir uns nun entlang der Gleise nähern, indem wir bis zur Clauertstraße laufen. Dort sind noch Überreste des ehemaligen Bahnübergangs sichtbar und direkt neben der JVA Düppel befindet sich der Haltepunkt “Zehlendorf Süd”, der 1972 eröffnet wurde. Selbstverständlich erst nach Protesten der westlichen Alliierten, die sich daran störten, dass die DDR einfach so in ihrem Teil der Stadt herumbauen wollte.

Der gesamte Haltepunkt atmet den Geist der sehr zweckmäßigen DDR-Architektur und wir können sogar noch ein verblichenes Bahnhofsschild entdecken. Leider brachte auch dieser neue Haltepunkt nicht die erhoffte Fahrgaststeigerung und so nutzte die Reichsbahn den Westberliner Reichsbahnerstreik im September 1980 als Vorwand, die ungeliebte Strecke stillzulegen.

Der noch sichtbare Bahnübergang
Bahnsteig mit Eingangshäuschen
Verblichenes Bahnhofsschild
Dieser Kasten enthielt vermutlich irgendwelche Technik

Wir begeben uns jetzt jedoch zum S-Bahnhof Zehlendorf, um zu sehen, was dort noch von der Strecke übrig ist. Bis zur Idsteiner Straße können wir noch entlang der Gleise laufen, danach sollten wir auf die parallel verlaufende Berlepschstraße wechseln, die uns direkt zum Bahnhof Zehlendorf bringt. In der Unterführung fällt uns schon ein abgesperrter Aufgang zu einem ehemaligen Bahnsteig auf, und wenn wir auf dem S-Bahnsteig sind, sehen wir es auch: Dort befindet sich ein ungenutzter Bahnsteig, teilweise ohne Gleise, von dem damals die Stammbahn-Züge fuhren. Heute sieht man dort leider keine Züge mehr, sondern vor allem Werbeplakate.

Nun können wir in die S-Bahn-Linie S1 steigen und damit unsere kleine Wanderung beenden.

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Und heute?

Nach der Wende veränderten sich die Verkehrsströme wieder, sodass bald über den Wiederaufbau der Stammbahn nachgedacht wurde, um Berlin und Potsdam besser zu verbinden. Dabei wurde sowohl über einen Abzweig aus der S-Bahn-Strecke ab Zehlendorf als auch über einen kompletten Wiederaufbau als Regionalbahnstrecke mit Verbindung zum Nord-Süd-Fernbahntunnel nachgedacht. Im Mai 2022 entschieden Berlin und Brandenburg sich nach jahrelangen Verhandlungen für letztere Variante, die im Rahmen des Projekts i2030 bis zur zweiten Hälfte der 2030er Jahre umgesetzt werden soll. Und so fahren hier in nicht allzu ferner Zukunft wieder Züge. Deshalb schnell nochmal hin, wenn ihr euch die stillgelegte Strecke anschauen wollt!